Jorge L. Chau, Federico Conte (Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik Kühlungsborn)

Die Bedeutung der Dynamik der MLT in mittleren und hohen Breiten auf das ionosphärische/thermosphärische Wetter II (DYNAMITE2)

Das System Ionosphäre/Thermosphäre (I/T) wird überwiegend von oben durch Kräfte der solaren Einstrahlung und der Magnetosphäre beeinflusst, jedoch auch von kleineren, aber bedeutsameren Kräften durch die untere/mittlere Atmosphäre. Letztere wurde viele Jahre lang nur hypothetisch angenommen, aber ihre Identifizierung war nicht eindeutig. Diese Antriebskräfte müssen durch die Mesosphäre und die untere Thermosphäre (MLT) gelangen, wo ein breites Spektrum verschiedener Wellen an das I/T-System ankoppelt und mit diesem interagiert. Zum einen geschieht dies direkt durch die Ausbreitung der Wellen und/oder zum anderen indirekt über den E-Schicht-Dynamo. Von daher ist die MLT-Dynamik von grundsätzlicher Bedeutung - von besonderem Interesse sind dabei mittlere und hohe Breiten, denn es werden  (1) in diesen Breiten von Satelliten die ausgeprägtesten Hotspots für Schwerewellen beobachtet und (2) zeigen jüngste Studien von globalen gekoppelten Atmosphäre/Ionosphäre-Simulationen, dass in mittleren und hohen Breiten die Dynamik der Atmosphäre, die für die meisten elektrodynamischen Effekte in niedrigen I/T-Breiten verantwortlich ist, durch auftretende SSW (= sudden stratospheric warming)-Ereignisse noch verstärkt wird. Aus den Arbeiten während der ersten Förderungsphase sind bisher neun Veröffentlichungen in begutachteten Zeitschriften eingereicht worden, eine davon mit besonderer Erwähnung in EOS. Auf Grundlage dieser Ergebnisse sollen in der zweiten Phase Methodologie und Forschungsschwerpunkte angepasst werden: So sollen auch weiterhin die einzigartigen Radar- und Lidarmessungen in hohen und mittleren Breiten genutzt werden, um mittlere Strömung, Wellen und ihre Wechselwirkung in der Stratosphäre und MLT zu charakterisieren. Wir werden zusätzlich Radardaten aus unterschiedlichen Längen und Hemisphären nutzen sowie eigene Lidarmessungen von Wind- und Temperaturprofilen in Nord-Norwegen. Diese Datensätze werden durch Satellitendaten und ein Re-Processing vorhandener Daten ergänzt. Die direkte Kopplung wird untersucht, indem MLT- und stratosphärische saisonale und jährliche Gezeiten- und Schwerewellensignaturen mit I/T-Daten von Swarm- und anderen Satelliten mit polnahen Orbits (wie COSMIC)  korreliert werden. Der Fokus liegt dabei auf der Nordhemisphäre während des Übergangs zum Herbst.

Darüber hinaus sollen verschiedene gekoppelte Simulationen der Atmosphäre/Ionosphäre durchgeführt werden, um diese Untersuchungen zu ergänzen. Die Effekte des ionosphärischen Dynamos in der E-Region wurden mithilfe von verschiedenen Simulationen der Kopplung Atmosphäre/Ionosphäre unter Einschluss von lunaren Gezeiten während starker Polarjetschwankungen (PJO = polar jet oscillations) in der nördlichen Hemisphäre sowie PJO-freier Perioden. Erste vorläufige Ergebnisse zeigen, dass nicht nur die stratosphärische, sondern auch die MLT-Dynamik noch mehrere Wochen nach dem Einsatz der PJOs beeinflusst wird – je nach PJO-Typ. Das Auftreten von PJOs korreliert wiederum eindeutig mit dem Auftreten starker SSWs. Wir werden diesen Zusammenhang und den Einfluss auf die I/T mit Hilfe von bodengebundenen und satellitengestützten Ionosphärendaten untersuchen.

Zusammenfassend sollen u.a. die folgenden Fragen beantwortet werden:
a) Was ist der Effekt der beobachteten kurzperiodischen und saisonalen Veränderungen von Wellen und mittleren Strömungen in der MLT auf das Wetter in der I/T-Region?

b) Was ist das typische Verhalten von mittleren Strömungen, Gezeiten und Schwerewellen während unterschiedlicher Ausprägungen von PJOs und der korrespondierenden Effekte auf das I/T-System?